Spiegel Kultur: Exil-Iranerin Shirin Neshat "Viele von uns wünschen sich einen Regimewechsel"
Die Künstlerin Shirin Neshat wurde in Teheran geboren und lebt seit 1996 in den USA. Die Lage in ihrer Heimat lässt nicht nur sie verzweifeln, sondern die iranische Community auf der ganzen Welt.
Ein Interview von Wolfgang Höbel
SPIEGEL: Frau Neshat, was war Ihre erste Reaktion, als sie von der Tötung des iranischen Militärs Soleimani hörten?
Neshat: Wie alle Menschen war ich schockiert über Trumps Tötungsbefehl. Aus meiner Sicht spielen hier zwei Regierungen ein Theater der Macht. In dem dürfen sich im Moment beide Seiten als Sieger fühlen, nicht bloß der Wahlkämpfer Trump, sondern auch die iranischen Machthaber. Im November gab es in vielen iranischen Städten Proteste, die mich und viele andere ernsthaft an die Chance auf einen Wandel im Land glauben ließen. Die Menschen in Iran haben die Wirtschaftsmisere und das erstickende gesellschaftliche Klima satt. Sie haben endlich ihren Zorn gezeigt. Aber jetzt hat Trump die iranische Regierung ungeheuer gestärkt. Die Verlierer sind die Menschen in Iran, deren zarte Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes zerschlagen wurden, nicht zum ersten Mal.
SPIEGEL: Sie selbst leben seit vielen Jahren in New York und waren seit 1996 nicht mehr in Iran - Ihnen wurde damals klargemacht, dass Sie nicht vor einer Verhaftung sicher sein können.
Neshat: Ich kann zwar nicht dorthin reisen, aber ich bin eng verbunden mit der iranischen Community. In der herrscht im Augenblick große Verzweiflung über die Lage in Iran, aber auch über die Situation hier in den USA. Fast meine ganze Familie lebt noch immer in Iran, ich telefoniere jeden Tag mit meinen Angehörigen. Direkt nach der Ermordung Soleimanis waren alle in extremer Sorge, dass jetzt der Dritte Weltkrieg beginnt. Weil wir wussten, dass die iranische Regierung reagieren würde.
SPIEGEL: Wie ist die Stimmung unter den Exil-Iranern in New York?
Neshat: Viele von uns sind seit Jahren von ihren Angehörigen getrennt und wünschen sich einen Regimewechsel, damit sie zurückkehren können. Jetzt sind alle wie gelähmt.
SPIEGEL: Sie waren wirklich zuversichtlich, dass die Herrschaft der Mullahs so brüchig war?
Neshat: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die iranische Gesellschaft stark verändert, sie wurde moderner und weltlicher. Nicht Religion ist das Problem der Menschen im Land, sondern die wirtschaftliche Not, das Embargo der USA, die Arbeitslosigkeit, die fehlende Meinungsfreiheit. Das kam bei den Novemberprotesten zum Ausbruch, bei denen viele unschuldige junge Menschen umgebracht und noch mehr ins Gefängnis geworfen wurden. Und nun die Totenfeierlichkeiten für Soleimani mit Millionen von trauernden Menschen auf den Straßen! Das Furchterregende an den Bildern ist, dass sie aussehen, als habe man Aufnahmen von 1979 aus der Zeit unmittelbar nach der islamischen Revolution nachgestellt. Die Menschenmassen, die Rhetorik gegen den großen Satan Amerika, der Ruf nach Rache, alles wirkte, als hätte man uns 40 Jahre zurückgeworfen. Und der lange Kampf um eine gerechtere Gesellschaft scheint plötzlich vergessen.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich das?
Neshat: Trump hat mit der Tötung von Soleimani einen Märtyrer geschaffen und leider die Macht der Religiösen wieder gestärkt. Ich habe in meiner eigenen künstlerischen Arbeit in den Neunzigerjahren im Rahmen der "Women of Allah" die Idee des Märtyrertums untersucht, die während der Islamischen Revolution eine sehr wichtige Rolle spielte und vom Regime institutionalisiert wurde. Was wir in den vergangenen Tagen auf Irans Straßen gesehen haben, ist die Wiederauferstehung einer überwunden geglaubten Ideologie und der alten Ressentiments. Aber genau die wollen die meisten Iraner, davon bin ich überzeugt, eigentlich unbedingt loswerden.
SPIEGEL: Bleibt den Regimegegnern in Iran im Augenblick gar keine andere Wahl, als sich wie ihre regierungstreuen Landsleute gegen die USA zu stellen?
Neshat: Die Ironie der augenblicklichen Lage besteht tatsächlich darin, dass alle Iraner große Angst um ihr Land haben, egal, ob sie für oder gegen das Regime sind, egal, ob reich oder arm, egal, wo sie leben. Insbesondere Angst davor, dass nun Kulturstätten und ganze Städte zerstört werden und sich unser Land in ein neues Syrien verwandelt. Es ist eine Mischung aus Wut und Nationalismus, mit der die Iraner zu Hause und im Exil auf das blicken, was die Regierungen in Teheran und Washington angerichtet haben.
SPIEGEL: Wie ergeht es Ihnen in den USA im aktuellen politischen Klima?
Neshat: Ich habe oft gesagt, dass ich mich in diesem Land noch nie als Fremde empfunden habe. Das hat sich geändert. Jetzt habe ich zum ersten Mal Angst vor der Zukunft. Ich lebe im Exil, kann nicht nach Iran zurück und habe im Augenblick das Gefühl, an zwei Fronten zu kämpfen. Den einen Kampf führe ich mit meinem Heimatland, das mir keine sichere Rückkehr erlaubt, den anderen mit einer US-Regierung, die mein Land mit Krieg bedroht und ein zeitweiliges Einreiseverbot für Muslime aus bestimmten Ländern erlassen hat. Früher haben meine Freunde und ich Witze darüber gemacht, was wir tun, wenn wir nicht mehr in Amerika leben dürfen. Jetzt spüren wir bei jeder Einreise die Angst, dass aus diesen Scherzen allmählich Ernst wird.
SPIEGEL: Wie verarbeiten Sie die aktuelle Situation in Ihrer Kunst?
Neshat: Ich habe gerade eine Arbeit aus Videoinstallationen und Fotografien fertiggestellt, "Land of Dreams", die von meiner Rolle als iranische Einwanderin in den USA handelt. Sie wird derzeit in Los Angeles gezeigt, und ich will daraus noch in diesem Frühjahr einen Spielfilm machen. Es ist die Story einer iranischen Fotografin, die im Süden der USA an den Haustüren ganz gewöhnlicher Amerikaner klingelt, sich als Iranerin vorstellt und versucht, mit den Menschen über ihre Träume und Albträume zu sprechen. Wir haben dabei herausgefunden, wie stark diese sich ähneln.
SPIEGEL: Wie waren Ihre Erfahrungen?
Neshat: Manche Leute haben uns die Tür vor der Nase zugeschlagen. Viele andere, gerade Einwanderer aus Lateinamerika und Native Americans, haben freundlich Auskunft gegeben. Und ja, es stellte sich heraus, dass alle Menschen ähnliche Albträume haben, die von Ausgrenzung, Gewalt, Krieg und der atomaren Auslöschung der Welt handeln - egal, wie groß die kulturellen oder religiösen Unterschiede auch sein mögen.
SPIEGEL: Sind die USA für Sie persönlich heute noch ein "Land of Dreams"?
Neshat: Ich liebe dieses Land und bewundere die Werte, auf denen es errichtet ist. Aber ich spüre eine ungeheure Identitätskrise in der amerikanischen Gesellschaft. Manchmal bin ich zornig darüber, dass sich die Amerikaner nicht stärker dagegen wehren, wie die Regierung von Donald Trump ihr Land spaltet. Aber ich begreife schon, wie erschüttert, ja fast paralysiert die meisten Bürger dieses Landes angesichts des Verhaltens ihres Präsidenten sind.