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Frankfurter Rundschau : Kunsthistoriker Schneede über Gerhard Richter: „Er hat sich nie dem Zeitgeist angeschlossen“ (by Lisa Berins)

 

Kunsthistoriker Uwe M. Schneede über den künstlerischen Eigensinn und das Erfolgsgeheimnis des Malers Gerhard Richter.

Gerhard Richter, einmal mehr „wichtigster Künstler“. © dpa

Herr Schneede, was machte eine neue Betrachtung des Werks von Gerhard Richter, einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart, notwendig?

Es gibt sehr viele Veröffentlichungen über Gerhard Richter, häufig sind das Ausstellungskataloge und Publikationen zu einzelnen Werkaspekten. Ich habe mich mit meiner Monographie an eine übersichtliche, kompakte Darstellung des malerischen Gesamtwerks gemacht. Ich versuche, zu seinen komplexen und komplizierten großen Abstrakten hinzuführen und zu erläutern, warum sich Gerhard Richter nie auf einen Stil hat festlegen lassen wollen, sondern immer gleichzeitig in den verschiedenen Modi, figürlich und abstrakt, gearbeitet und sie gleichwertig behandelt hat.

Konnten Sie dazu auch Richter selbst befragen? Er gilt ja als eher zurückhaltend.

Über die Jahrzehnte gab es gelegentlich einen Grund, Gerhard Richter im Atelier zu besuchen, um Dinge zu klären, etwa für einen größeren Ankauf, für Aufsätze oder die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, die ich 2011 kuratiert habe. Gerhard Richter und seine Frau Sabine Moritz haben mein Buchvorhaben sehr stark unterstützt. Vielleicht gibt es da eine gewisse Vertrauensbasis. Es bestand regelmäßiger Kontakt – der auf eine sympathische, mich einnehmende Art und Weise distanziert blieb.

Was haben Sie Neues über ihn und seine Kunst herausbekommen?

Mir ist bei der Arbeit klar geworden, dass die Widersprüche in seiner Person und in seinem Werk eine außerordentlich bedeutende Rolle spielen. Als er nach seinem Übertritt von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland 1961 wieder neu mit seiner Kunst begann, spielte die Malerei hier eigentlich eine Nebenrolle. Die Hauptrolle spielten Aktionen, Happenings, geschlitzte Leinwände, genagelte Objekte, also der Ausstieg aus dem Bild. Richter aber beharrte auf dem gemalten Bild. Das ist schon ein interessanter Widerspruch zur Zeit. Dass er dann Bilder machte, die aber keine malerische Erfindung waren, sondern von Fotos abgeleitet wurden, ist dann ein weiterer Widerspruch.

Was ist das Komplexe und Komplizierte an seinen abstrakten Bildern?

Sie stellen einen angesichts ihrer Vielschichtigkeit vor das Problem, zu adäquaten Deutungsmethoden zu kommen. Bei der Entstehung eines abstrakten Gemäldes wurde etwa dokumentiert, dass es 32 Zustände gegeben hat. Das heißt, es sind 31 Bilder unter dem Bild, das man sieht. Die Übermalungen sind aber nicht vollständig deckend: Durch die Rakel, mit denen Richter über die Farbe fährt, werden auch immer untere Schichten wieder aufgedeckt und in Ritzen und Fugen teilweise sichtbar gemacht. Die darunterliegenden Bilder sind also zwar überdeckt worden, aber stellenweise noch aktiv im Bild wirksam, auch als Empfindungen; als Schlünde und Verwundungen.

Gerhard Richter siedelte 1961 in den Westen über, nachdem er 1959 die Documenta in Kassel besucht hatte. Wie hing das zusammen?

Er hat es mal verkürzt ausgedrückt, dass wahrscheinlich die Documenta den Ausschlag gegeben hätte, in den Westen zu kommen. Auf der Documenta hatte er Werke von Jackson Pollock, Lucio Fontana und anderen Künstlern gesehen, die in der DDR nicht zugänglich waren. Und die er überaus anregend fand, für ihn waren sie ein Inbegriff der Freiheit. Ihm ist es nie schlecht gegangen in der DDR, er hat offizielle Aufträge gehabt, aber die Regulierung des Lebens und der Ästhetik dort haben ihn doch beeinträchtigt. Dieser Eindruck der enormen Möglichkeiten einer Malerei im Westen hat ihn entscheidend zum Übertritt in die BRD verlockt.

Wie erlebte er die westliche Kunstszene in Düsseldorf, wo er dann studierte?

Er hatte das Gefühl, dass er eigentlich zwischen den Stühlen saß. Es gab das Dogma der Abstraktion im Westen und des Realismus im Osten – beidem wollte er nicht folgen. Richter hat sich auch nie einer Tendenz angeschlossen, der es um Zeitkritik ging. Er hat selbst zu diesem Zeitpunkt gesagt, er wisse eigentlich nicht, wie es für ihn weiterginge. Und dann erlebte er Fluxuskonzerte in Düsseldorf und Aachen als Befreiung, sah die erste Beuys-Ausstellung. Das regte ihn an, Fuß zu fassen, allerdings nicht im Bereich der Aktion, sondern widersinnigerweise im Bereich der Malerei. Er machte sie zu seiner Sache, wie er einem Freund in der DDR dann auch schrieb: Jetzt weiß ich genau, Malerei ist meine Aufgabe.

Wieso unbedingt Malerei?

Er war in der DDR als Wandmaler ausgebildet, er hatte auf diesem Sektor Erfahrung. Außerdem fühlte er sich der Tradition der europäischen Malerei sehr stark verpflichtet. Er sagte oft, er wollte malen wie Jan Vermeer oder Caspar David Friedrich, nur sei ihm das leider nie gelungen. Die Anziehungskraft und die Herausforderung lagen auch in diesem Moment, gegen die Zeit zu sein.

Im Buch sagen Sie, Richter sei kein Rebell gewesen …

Nein, er sagte gern, er habe weder Bürgerschreck noch Außenseiter sein wollen, aber er betonte auch, dass er sich nie dem Zeitgeist angeschlossen habe, es für ihn wichtig war, immer sein eigenes Ding zu machen. Er bestand darauf, auf seine eigene Art schöpferisch tätig zu sein. Das will auch der Titel meines Buchs sagen: Er war ein „unbedingter Maler“, der sich auf keine äußeren Bedingungen einließ, und der auf der anderen Seite unter allen Umständen Maler werden wollte.

Worauf wollte er damals in seiner Arbeit als Maler hinaus?

Wenn er Bilder malte, abstrakte Bilder malte, wollte er nicht auf eine bestimmte Vorstellung hinaus, sondern er arbeitete so mit diesen riesigen Rakeln, mit denen er die Farben schichtet und die Oberfläche der Leinwand häutete, dass etwas dabei herauskam, von dem er selbst nichts wusste. „Meine Bilder sind klüger als ich“, sagte er einmal. Er wollte mit Hilfe von Techniken und Mitwirken des Zufalls auf unbekannte Bilder stoßen. Er hörte erst auf, wenn ein Zustand erreicht war, der ihm selber fremd, aber auf seine eigene Weise überzeugend war.

Zur Person

Uwe M. Schneede ist Kunsthistoriker und Kurator für zeitgenössische Kunst. Von 1991 bis 2006 war er Direktor der Hamburger Kunsthalle, zuvor Professor für die Kunstgeschichte der Moderne an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Zuletzt von ihm erschienen ist unter anderem „Ich! Selbstbildnisse in der Moderne“ (C.H. Beck 2022).

Uwe M. Schneede : Gerhard Richter. Der unbedingte Maler. C.H. Beck München, ab 19. Sept. 2024.

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gabriela ancoGerhard Richter