Rheinische Post : Die sieben Überraschungen der Gerhard-Richter-Ausstellung (by Philipp Holstein)
Düsseldorf · Es ist die erste große Gerhard-Richter-Retrospektive seit mehr als zehn Jahren: Der Kunstpalast in Düsseldorf zeigt unter dem Titel „Verborgene Schätze“ Arbeiten aus dem Besitz rheinischer Sammler. Die Schau bietet verblüffende Stücke und erstaunliche Erkenntnisse.
Bitte auf keinen Fall diese Ausstellung ohne Begleitung besuchen. Man braucht jemanden, an den man Stoßseufzer richten, mit dem man Spontan-Erkenntnisse teilen kann. Jemanden, der „Ja, klar!“ sagt, wenn man am Ende noch ein zweites Mal durch die Schau gehen möchte. Unter den 120 Arbeiten aus allen Werkgruppen und -phasen, die der Kunstpalast in der ersten großen Gerhard-Richter-Retrospektive seit mehr als zehn Jahren versammelt hat, sind viele, die man in einem ursprünglichen, arglosen und wohltuenden Sinn schön finden wird. Es ist aber auch einiges darunter, das verblüfft und irritiert. Man staunt viel in den neun Räumen mit den weit nach vorne gebauten Fußleisten. Man versucht, das alles für sich zu sortieren. Zum Beispiel so:
Jedes Bild erzählt eine Geschichte
Kurator Markus Heinzelmann hat die chronologisch gehängte Ausstellung „Verborgene Schätze“ genannt. Die Stücke stammen aus privaten Sammlungen rheinischer Kunstfreunde und von Unternehmen. Die meisten wollen anonym bleiben. Manche geben sich jedoch zu erkennen, der Fotokünstler Andreas Gursky etwa. Ihm gehört die „Weinernte“ von 1968, und darauf angesprochen, sagt er, Gerhard Richter sei für ihn eine „maßgebliche Inspiration“. Gerade die frühen Foto-Übermalungen hätten enormen Einfluss auf seine eigene künstlerische Entwicklung gehabt. Die meisten Bilder der Schau wurden selten, manche noch nie öffentlich gezeigt. Und natürlich stellt man sich vor, in welcher Umgebung sie wohl sonst hängen: Wohn- oder Esszimmer? Und wie ist es, unter einem Richter zu frühstücken? Manchmal lassen die Rahmen etwas von den Vorlieben der Besitzer erahnen.
„Verborgene Schätze“ bezieht sich auch auf die Stories hinter den Bildern. Auf die des Sammlers Thomas Olbricht zum Beispiel. Er hat sich auf Editionen spezialisiert, also nummerierte und signierte Werke in kleiner Auflage. Er war der Vollendung nahe, der Traumerfüllung jedes Sammlers, ihm fehlte nur noch eine Arbeit: „Hund“ von 1965. Markus Heinzelmann berichtet, dass Olbricht zugriff, als zwei davon auf den Markt kamen. Voller Stolz besuchte er Gerhard Richter, zeigte ihm das letzte Puzzleteil seiner Sammlung. Richter sagte, es habe ihn immer etwas gestört an dem Bild. Dann nahm er eine Schere und schnitt es zurecht: So ist es besser. Im Kunstpalast sind nun der komplette und der beschnittene Hund zu sehen.
Gerhard Richter gestaltete Karnevalswagen
Als junger Künstler im Rheinland verdiente sich Gerhard Richter auf vielen Wegen seinen Lebensunterhalt. Der Katalog zur Ausstellung erwähnt unter anderem seine Mitarbeit bei der Gestaltung von Wagen für Karnevalsumzüge. Er war 1961 aus Dresden in den Westen geflüchtet und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er später mehr als 20 Jahre als Professor lehrte. „Er war jung und brauchte das Geld“, sagt Markus Heinzelmann. Eine andere Einnahmequelle verschaffte Galerist Alfred Schmela. Er hatte Richters erste Einzelausstellung ausgerichtet und bot Kunden an, Richter ein Passfoto zu geben, das der Künstler dann abmalte. Diese Werke fallen in die frühe Phase, die im ersten Raum aufgefächert wird. Richter wählte Fotos aus Zeitungen und Magazinen aus und malte sie in Schwarzweiß ab. Darunter Aufnahmen aus Pornoheften. Besonders interessant ist das Bild „Schwestern“ von 1967. Im Bild gibt es einen Vorhang, den es auf dem Originalfoto nicht gegeben haben dürfte. Er kräuselt sich hinter den beiden Frauen, und darin erkennt der Kurator das Signal für einen neuen Willen zur Komposition, der sich allmählich Bahn bricht.
Gerhard Richter war schon vor Instagram „instagramable“
In der toll arrangierten, mal ruhig, dann kleinteilig, immer unterhaltsam gehängten Ausstellung gibt es einen Prachtraum, der so großartig bestückt ist, dass man darin ganze Tage verbringen möchte. Landschaften sind darin versammelt, mitunter zum Darin-Versinken große wie die zwei mal drei Meter messende „Wolke“. Es dürfte der Raum mit dem meisten Auftrieb werden. Der Selfie-Raum, und man kann es verstehen.
Manches ist unheimlich
Ein anderer Raum ist ein bisschen „spooky“ (Markus Heinzelmann). Er mutet leicht abdunkelt an, dort wird Richters einziger Film gezeigt. Der Künstler Volker Bradke taucht darin auf, allerdings nur verwischt als Schemen, wie ein Gespenst in Bewegung. Es gibt eine Dreifachbelichtung von Richter selbst, eine Art Selbstporträt als Geist. Und die irre „Kleine Tür“ von 1968, die aus dem Rahmen zu ragen scheint. Das sollte man besonders bewachen, irgendwer will sie bestimmt reflexartig zudrücken.
Richter ist nicht immer als Richter zu erkennen
Man gelangt an kein Ende. Und wer auch nach zwei Durchgängen noch nicht genug hat, kann den Wegweisern zum benachbarten nun auch am Wochenende geöffneten Firmengelände der Ergo-Versicherung folgen. Dort hängen „Victoria I & II“, die beiden mit sechs Meter Höhe größten Gemälde der Schau im Foyer.