Frankfurter Rundschau : Gruppenausstellung „Assembly“ am Frankfurter Portikus : Suchen und nicht finden
Die Gruppenausstellung „Assembly“ bietet öffentliche Interventionen am Frankfurter Portikus – zum Teil überaus diskret. Von Johanna Krause.
Im „Wasch-Treff“ in der Wallstraße trifft Kunst auf Publikum. Dort kann derzeit nicht nur Wäsche gewaschen werden, sondern zeitgleich das „Jacke wie Hose“-Print aus den 1970er Jahren an den Salonwänden besichtigt werden. Der Objektkünstler Thomas Bayrle hat mit seiner Arbeit jeden Zentimeter zwischen den 22 Electrolux-Wäschetrommeln tapeziert – sozialer Treffpunkt und Kunstwerk passen wie die Faust aufs Auge: Die massenhaften Kleidungsstücke, die in den Maschinen durchgewirbelt werden, gleichen in ihrer Bildsprache einem Zusammenspiel zwischen Konsum, Individuum und Massengesellschaft.
Für die Gruppenausstellung „Assembly“ am Frankfurter Portikus hat das Kuratorinnen-Duo Liberty Adrien und Carina Bukuts gemeinsam mit fünf Künstlerinnen und Künstlern eine ganze Reihe Interventionen im urbanen Raum geschaffen. Die Spazierroute läuft durch den Stadtteil Sachsenhausen – sieben Orte ermöglichen Formen der Zusammenkunft („Assembly“) und reflektieren globalen und lokalen Austausch, außerhalb des rigiden White Cubes.
Die Intervention „Lonesome George“ (2020) von Ayse Erkmen ist die minimalistische Bronzereproduktion eines Schneckenhauses: Im Grunde braucht es Koordinaten, um die Mikro-Skulptur unterhalb der Baumkrone einer riesigen Platane im historischen Metzlerpark zu entdecken. Nach dem Großprojekt „Shipped Ships“ (2001), für das drei Fähren aus Japan, Italien und der Türkei als Transportmittel auf dem Main genutzt wurden, entzieht sich Erkmens Kunstobjekt diesmal dem Alltagsblick. Die signifikante Bedeutung stört das nicht - das schnelle Aussterben bedrohter Artenvielfalten ist gegenwärtig: Das namensgebende Modell des Werks „Lonely George“ ist das letzte Exemplar der hawaiianischen Baumschnecke Achatinella apexfulva – Paarungsversuche scheiterten und konnten das Aussterben der Art 2019 nicht mehr verhindern.
An der Einfahrt zum Parkhaus Alt-Sachsenhausen präsentiert sich mit der nächsten Station das Kontrastprogramm. Das auffällige Ausstellungsplakat der Frankfurter Grafikdesignerin Sandra Doeller konfrontiert mit verschiedenen Typografien und einer blau-orangenen Farbzusammenstellung die Autofahrerinnen und Autofahrer – und reflektiert gleichzeitig durch die Wahl des Ortes die hohe Nutzung des Automobils.
Die Frage stellt sich, warum Künstlerinnen und Künstler den öffentlichen Raum als Ort ihrer Arbeiten wählen, wenn diese dort häufig im Alltagstrubel verschwinden: „Kunstwerke schaffen Relationen, und diese Relationen befinden sich außerhalb ihrer Objekte, sie haben eine ästhetische Autonomie“, sagte Ende der 1990er Jahre der französische Kunstkritiker Nicolas Bourriaud in seiner Essaysammlung „Relational Aesthetics“. Er prägte damit eine Kunstströmung, die soziale Beziehungen ins Zentrum rückt. Ein Kunstwerk formt nicht nur imaginäre, utopische Realitäten – wie bei einem Museumsbesuch –, sondern markiert tatsächliche Lebensweisen zwischen Individuum und Gesellschaft. Es spielt sich im Realen ab und bietet einen sozialen Zwischenraum: ein Waschsalon, ein Parkhaus, ein (Döner-)Boot oder ein Stadtpark sind vertraute Schauplätze des Alltags – kunstaffin muss man also nicht sein, um die Werke anzutreffen. Manche Begegnungen bleiben Zufall; ob mit Richtungsweise oder ohne.
An der nächsten Station empfiehlt sich jedoch das Ausstellungsbooklet: Bei James Gregory Atkinson geht es in der Installation „Juke Joint“ über zwei Orte um die Vergegenwärtigung von Erinnerungskultur: In das denkmalgeschützte Wohnhaus im Stil der Neorenaissance, „Schweizer 5“, hat er eine hölzerne Wurlitzer 42 Victory Jukebox aus den 1940ern gestellt. Die Schallplatten spielen Schlager der afro-deutschen Sängerin Marie Nejar (alias Leila Negra). Unter ihrem Künstlernamen trat sie während des Nationalsozialismus als junge Statistin auf und wurde in Propagandafilmen zur Schau gestellt.
Atkinson öffnet in die alten Wohnräume geprägten Wohlstands und Macht zwischen Messing-Kronleuchter und Deckengemälden den komplexen historischen Diskurs über fehlende Schwarze-deutsche Identität – die Familiengeschichte des Hausbesitzers Leo Najman weckt ebenso die Geister der Vergangenheit auf: Die Eltern des Mediziners überlebten den Holocaust. Er selbst ist geborener Frankfurter, als deutscher Bürger verstand er sich nie.
Nicht weit der Schweizer Straße interveniert Fastfood mit literarischen Elementen. Das Künstlerkollektiv Slavs and Tatars hat dort in Kooperation mit dem Dönerboot „Meral’s Imbiss“ am Sachsenhäuser Ufer für das interdisziplinäre Projekt „Asbildung“ Papierservietten und Kebab-Taschen bedruckt. Auszüge aus „Kutadgu Bilig“, dem türkischen Epos aus dem 11. Jahrhundert, sind hier in deutscher arabischer, türkischer und kurdischer Sprache zu lesen. Inspiriert vom Fischverkauf am Bosporus in Istanbul ist das Kebabboot von April bis Oktober längst eine ikonische Institution und fester Bestandteil kulinarischen Austauschs in Frankfurt. Ein migrationsgeschichtlicher Subtext, der an die Gastarbeiter der 1960er in Frankfurt erinnert, bleibt nicht unbemerkt.
Wie so oft geht es auch bei diesem Projekt überwiegend um temporäre Kunst. Die Diskussion darüber, wie sinnvoll sie ist, was sie bewirkt und wofür sie steht, ist hingegen von Dauer und vielfältig: An manchen Stellen kann sie im raschen Vorübergehen als wenig originell betrachtet werden, an anderer Stelle entsteht durch die Auseinandersetzung eine kritische Reflexion von Gegenwart und die Konfrontation mit eigenem historischen Wissen – auch als Aufforderung, Verantwortung für unsere Umwelt und das Gesellschaftsbild zu übernehmen.
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