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Faz Magazine : ROSEMARIE TROCKEL WIRD 70 : Aus dem Nähkästchen gekämpft (by Stefan Trinks)

 

Ihr Jubeljahr wird auf der Biennale di Venezia ebenso wie in Frankfurt groß gefeiert: der kämpferisch-einzigartigen Konzeptkünstlerin Rosemarie Trockel zum siebzigsten Geburtstag.

Die Differenz aus Wildheit als Ideal und dem Mach- und Lebbaren ist das Agens der 1952 in Schwerte geborenen Künst­lerin Rosemarie Trockel. Auf der „Skulptur.Projekte Münster“ von 2007 etwa zeugte davon ihr semiakkurater Heckenriegel „Less Sauvage than Others (We­niger wild als andere)“, der zwar im Ganzen ordentlich getrimmt wirkte. Zu den Seiten hin schoss er jedoch in anarchischem Wildwuchs über die ihm von Gartennazis auferlegten Grenzen hinaus. Bei einer anderen Land-Art-Arbeit entsprang glucksend Wasser aus der Mitte eines Teichs – es war jedoch mitnichten ein Geysir, der sich da urwüchsig Bahn brach, sondern eine Gartenpumpe.

Die Zweckentfremdung von Dingen und die Indienstnahme für eigene, oft frauenrechtlerische Zwecke könnten ein vages Wiedererkennungsmerkmal ihrer Arbeiten sein: Vom 10. Dezember an widmet ihr beispielsweise das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt eine das gesamte Haus bespielende Geburtstagsausstellung, in der eine fast drei Meter hohe Haarnadel an die Wand gelehnt aufragt und auf den Namen „Notre-Dame“ hört, um die Fetischisierung und Einnordung zwischen Heiliger Hure und „Unser lieben Frau“ durch den Ding­charakter des seit dem Mittelalter „typisch weiblichen“ Accessoires Haarnadel aufzuspießen – diese kann Türen öffnen, als Waffe dienen, durch zu enge Zuschreibungen aber auch einkerkern. Ähnlich die vier großen, weißen Venti­latoren im Frankfurter MMK, die wie Blüten eines gotischen Rosettenfensters ein Ornament bilden, die Fläche aber auch schließen. Statt Ausblick und Freiheit zu bieten, wird dieses „Fenster“ durch die Zierde seines Zwecks beraubt und ist statt Öffnung nur Abschottung und Isolation.

Hintersinnige Installationen

Der Kampf um gleiche Rechte beginnt für Trockel nicht erst 1968. Bereits ihre stark konzeptuelle Ausstellung „Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am ­Môargô niana me“ im Kunsthaus Bregenz 2015 kündigte durch ihren mittelhochdeutschen Titel an, dass sie ihren Untersuchungszeitraum weit fasst und in die nur scheinbar heile Minnezeit abteuft. In der Schau stellte sie ihren hintersinnigen Installationen computergenerierte Strickbilder ge­genüber.

Mit diesen Textilbildern, den „Knit Paintings“, ist Trockel weltweit bekannt geworden. Die in abstrakte Streifen und Formen gegliederten Digital-Gobelins ähneln nicht von ungefähr den gemalten Bildern ihrer Kollegen einer strengen, häufig „männlich“ aufgefassten Abstraktion; mit der klischeehaft Frauen zu­geordneten Webtechnik in technischer Reproduziertheit überwindet sie so durch die auratischen Abstrakt-Strickikonen einengende Zuschreibungen. Ein Programmbild in dieser Hinsicht bildete 1985 das sakralisierte Diptychon „Un­titled“, auf dessen linker Hälfte das Wollsiegel als pseudoweibliches Signet in Gold als Endlosrapport prangt und in der Mitte auf den Playboyhasen der rechten Hälfte in Rot auf Goldgrund stieß – mit wilden Mischungen in der Sphäre der Begegnung im Zentrum. Etliche dieser wichtigen Textilbilder sind noch bis zum 27. November im großen Saal des Hauptpavillons der Venedigbiennale zu sehen.

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